Warmherzig, offen und trotz aller Kontroversen durchaus auch humorvoll gestaltete sich die Begegnung von lesbischen und schwulen Führungskräften mit Muslimen aus der Gemeinde des Hauses der Weisheit in Moabit. Im Rahmen der Reihe „Islam meets LGBTI“ organisierte Leadership Berlin – Netzwerk Verantwortung e.V. zum fünften Mal einen Moscheebesuch und Diskussion von LGBTI-Vertreter*innen zum Thema Homosexualität und Islam.
Unter den Besucher*innen war dieses Mal auch der stellvertretende Bürgermeister von Berlin und Senator für Kultur und Europa, Dr. Klaus Lederer, der seit Kurzem mit seinem Lebenspartner verheiratet ist. In seiner Begrüßung gab er zu denken, dass eine solche Begegnung eine „Zumutung“ für beide Seiten sei, dies jedoch im positiven Sinne. Für ein gelingendes Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft sei genau dies unabdinglich: dass man Verschiedenheit aushalte und sich gegenseitig im Respekt begegne.
Moderiert wurde die Veranstaltung von Winfriede Schreiber, die vor ihrer Pensionierung u.a. Polizeipräsidentin für Ost-Brandenburg und zuletzt Leiterin des Brandenburger Verfassungsschutzes war. Bei meet2respect ist sie seit 2013 ehrenamtlich aktiv und begleitet im Koordinierungskreis dabei auch die jüdisch-muslimischen Begegnungen, zu denen u.a. die diesjährige Tandemfahrt von Imamen und Rabbinern für gegenseitigen Respekt gehörte.
Gastgeber der aktuellen „Islam meets LGBTI“-Begegnung war Abdallah Hajjir, Imam und Vorstandsvorsitzender der Gemeinde Haus der Weisheit (Darul Hikma) in Moabit, einer islamischen Gemeinde mit ca. 500 Mitgliedern, deren Familiengeschichte vornehmlich in arabischen Ländern wurzelt. Abdallah Hajjir selbst kam 1978 aus Jordanien nach Deutschland. Er ist Bauingenieur und deutscher Staatsbürger.
Der Imam begrüßte die Gäste äußerst herzlich und sprach offen über seine Haltung zu Homosexualität. Seine Kernbotschaft lautete, dass man im Islam nicht über andere urteilen dürfe. Er zitierte den Koranvers „Es gibt keinen Zwang in der Religion“ auf Deutsch und Arabisch. Einige der anwesenden Gemeindemitglieder fielen sofort in die Rezitation mit ein. Der Vers ist in der Gemeinde offensichtlich wohlbekannt.
Es gebe zwar einige Dinge, die im Islam wie auch in anderen Religionen als Sünde betrachtet würden. Dazu gehörten neben sexuellen Beziehungen vor oder außerhalb der Ehe auch homosexuelle Beziehungen. Es stünde aber keinem Einzelnen an, über andere ein Urteil zu fällen. Der Islam und die Muslime setzten sich hier für gegenseitigen Respekt ein – und Probleme mit Homophobie gebe es nicht erst seitdem Muslime in Deutschland lebten. Er ordnete Homophobie insofern als „ein soziales Problem“ ein – nicht eines von Religion.
Um die Botschaft zu unterstreichen, umarmte er seinen Kollegen Dieter Burmeister, der sich selbst schon vorab als „Heide“ vorgestellt hatte, und bezeichnete ihn als seinen „Bruder“. Und dabei sei die Tatsache, keinen Glauben zu haben, im Islam ein viel größeres Problem als Homosexualität.
Für Abdallah Hajjir gehören homosexuelle Beziehungen in den Bereich der „Privatsphäre“, der nicht nach außen getragen werden müsse. Hier zeigte sich ein Konflikt mit den Interessen vieler der anwesenden Schwulen und Lesben. Er möchte es nicht verheimlichen müssen, dass er schwul sei – genauso wie der Imam vermutlich nicht verheimlichen wolle, dass er Muslim sei, äußerte sich einer der Teilnehmenden. Und fügte hinzu, dass es dabei gar nicht darum gehe, was im Schlafzimmer passiere. Darüber wolle auch er nicht öffentlich sprechen. Es gehe bei dem öffentlichen Bekenntnis zur Homosexualität um eine Frage der Identität.
Knackpunkt: Respekt oder Akzeptanz?
Einer der Knackpunkte in der Diskussion war die Differenzierung zwischen respektvollem Umgang miteinander trotz unterschiedlicher Lebenswürfe und der Frage der Akzeptanz. Ein Gemeindemitglied äußerte die Meinung, dass er Schwulen und Lesben selbstverständlich im persönlichen Umgang mit Respekt begegne, dass für ihn als Muslim homosexuelle Beziehungen aber genauso selbstverständlich ausgeschlossen seien.
An diesen Knackpunkt knüpfte auch das Statement eines schwulen Teilnehmers an. Er betonte, dass er es sich nicht aussuchen könne, ob er schwul sei oder nicht, und wollte von Abdallah Hajjir wissen, wie dieser dazu stehe. Ja, es gebe Menschen, die diese „Veranlagung“ hätten und sich das nicht aussuchen könnten, bestätigte der Imam. Islamisch betrachte man das nicht als Sünde, sondern als „Prüfung“. Es gebe aber auch Fälle, in denen sich Frauen aus Enttäuschung über das schlechte Verhalten ihrer Männer dazu entschlossen hätten, fortan mit einer Frau zusammenzuleben. Oder es gebe Fälle, in denen Männer, die nach Verlust oder Trauma ohne jegliche Bezugspersonen seien, Zuflucht in einer homosexuellen Beziehung suchten.
In dieser wie auch in einigen anderen Fragen zeigte sich, dass durchaus noch eine große Diskrepanz in den Sichtweisen auf Homosexualität existiert. Die Gespräche boten hier einen ersten Ansatz, die jeweils andere Position kennenzulernen und überhaupt einmal in Kontakt miteinander zu kommen. Daran soll in Zukunft angeknüpft werden. Zum einen sprach die islamische Gemeinde die Einladung aus, dass nach diesem ersten Schritt auch jeder der Gäste gerne alleine für einen Besuch in der Gemeinde wieder kommen könne. Zum anderen lud ein Vertreter des Sonntags-Club, einem Treffpunkt für LGBTIQ im Prenzlauer Berg, umgekehrt die Gemeindemitglieder ein, ihrerseits einmal in die Begegnungsstätte zum Gespräch zu kommen.
Ein erstes handfestes Ergebnis des Gesprächs stellt die Unterzeichnung der meet2respect-Grundsatzerklärung zum Thema Homophobie durch den Vorsitzenden des Hauses der Weisheit dar. Die Erklärung, die auf einer Stellungnahme muslimischer Gemeinden von 2008 basiert, verurteilt in klaren Worten Verfolgung und Diskriminierung von Homosexuellen sowie Gewaltanwendung.
Leadership Berlin dankt allen Teilnehmenden und Mitwirkenden, die die Begegnung ermöglicht haben, insbesondere dem Gastgeber Abdallah Hajjir und der Gemeinde Haus der Weisheit, dem Senator Dr. Klaus Lederer und Winfriede Schreiber für die Moderation.